Die mittelständische Produktionsfirma gehört zu den Vorzeigeunternehmen ihrer Branche. Doch ausgerechnet in der modernsten Montageeinheit, die ein Team von 40 Mitarbeitern umfasst, ist die Stimmung denkbar schlecht. Obgleich sich die meisten sehr mit dem Unternehmen und ihrem Arbeitsplatz identifizieren, strahlt die hoch qualifizierte Truppe von Facharbeitern Unzufriedenheit aus. Die mangelhafte Produktivität der Linie erzeugt wiederum erhebliches Stirnrunzeln bei der Geschäftsleitung. Als Ursache ihrer Unzufriedenheit nennen die Mitarbeiter allgemeine Desorganisation, während die Führungsebenen eher eine unzureichende Flexibilität der Mitarbeiter vermuten. Disziplinarmaßnahmen beeindrucken die Leute nicht, in dem Bewußtsein, kaum ersetzbar zu sein. Der Bereichsleiter bittet mich schließlich um Hilfe. Seine Idee ist, dass in einem von mir moderierten Workshop die betreffenden 40 Mitarbeiter einmal alle Probleme offen ansprechen und zusammentragen sollen, um sie dann gemeinsam konstruktiv lösen zu können.
Dieser Vorschlag klingt vernünftig und liegt auch nahe. Andererseits:
Ich möchte Ihnen einen Eindruck davon geben, welche Rolle ich in dem Veränderungsprozess eingenommen habe. Der vom Kunden vorgeschlagene Workshop war Teil der Prozessmoderation, nicht jedoch der erste Schritt.
Fragen, zuhören, nachfragen
Nach ausführlichen Gesprächen mit den Führungskräften und dem Betriebsrat betrete ich eines Tages gegen 13 Uhr den Pausenraum des Montageteams. Mein Besuch dort ist informell angekündigt, und so stelle mich den zufällig ca. 10 Anwesenden vor, erwähne mit einem Satz, dass die Geschäftsleitung mich beauftragt habe, etwas für ein besseres Arbeitsklima zu tun und frage dann in die Runde, was sie denn davon hielten.
Diese Prozessphase hat es in sich: Ich möchte etwas von der täglichen Arbeit der Leute verstehen lernen, mich auf die Sprache, die Fachbegriffe einstellen, Vertrauen aufbauen, ein Gefühl für die Stimmung bekommen, innere Strukturen der Gruppe erkennen, Vorgeschichten erfahren. Eine Flut sachlicher und emotionaler Eindrücke muss gespeichert werden. Die Phase ist eine Gratwanderung in mehrfacher Hinsicht:
Ich bitte darum, Platz nehmen zu dürfen. Im Pausenraum herrscht ein Kommen und Gehen. Nach anfänglichen, verständlichen Widerständen wie „ich sag nix“ und Testballons wie „statt uns einen Berater zu schicken, sollten die uns einfach mehr Lohn zahlen“, fangen die Männer doch an zu reden und mir wird in den folgenden 2 Stunden nach und nach doch ein vorsichtiges Vertrauen entgegengebracht. Mir ist klar, dass mit steigendem Vertrauensvorschuss auch meine Verantwortung wächst, diesen Konflikt tatsächlich zu lösen. Viel zu oft höre ich in Unternehmen die Leute gereizt und niedergeschlagen sagen: „Sie sind in den letzten Jahren jetzt schon der dritte /vierte / fünfte Berater, mit dem ich zu tun habe und nie hat sich etwas zum Besseren geändert.“ Und hier beginnt für mich als Moderator der Scheideweg.
Der Moderator im Spagat
Die klassische Schule sagt: „Der Moderator ist nur für den Prozess verantwortlich, die Gruppe für die Inhalte.“ Anders ausgedrückt: Ein Problem ist wie ein Puzzle, das durcheinander geraten ist. Jeder Mitarbeiter hat einige Puzzleteilchen in der Hand. Der Moderator sorgt nun dafür, dass die Puzzleteilchen zusammengetragen und so effektiv wie möglich zusammengesetzt werden.
Ein Moderator, der seine Verantwortung auf die Prozessbegleitung beschränkt, wird mit diesem Selbstverständnis die Gruppe möglicherweise tiefer in den Konflikt hineinführen. Das Workshopergebnis wird zwar wie eine Lösung aussehen, aber keine Besserung erzielen und schließlich die Verbitterung verstärken.
Deshalb haben wir bei CoachPlus die Philosophie der „Einmischung durch Hypothesenbildung“ entwickelt, die meiner Erfahrung nach eine viel höhere Chance für nachhaltige positive Veränderungen bietet. Die Haltung erfordert jedoch mehr persönlichen Einsatz, weil der Moderator eine inhaltliche Mitverantwortung für das Ergebnis übernimmt. Er formuliert Hypothesen über den Ist-Zustand und bringt punktuell seine Expertise in Fragen der Führung und Organisation ein. Der klassische Moderationsablauf mit Kärtchen und Pinwand verliert seine zentrale Wichtigkeit. Den Prozessbeteiligten bleibt dadurch das dumpfe Gefühl erspart, an genau diesem Punkt früher schon einmal gescheitert zu sein.
Es ist wichtig, eines klarzustellen: Trotz seiner inhaltlichen Einmischung darf sich der Berater nie nie nie dazu hinreißen lassen, die Beteiligten zu bevormunden, auch wenn dies verlockend erscheint. Dies ist der Spagat. Beispiele für bevormundende Berater in Veränderungsprozessen sind:
Am Ende des moderierten Prozesses der „Einmischung durch Hypothesenbildung“ steht eine Veränderung,
Wie ging unser Beispiel aus?
Die Krise beruhte, wie sich nach und nach zeigte, vorwiegend auf sachlich-organisatorischen Ursachen, die aber von keinem der Beteiligten in ihren Zusammenhängen wahrgenommen worden waren, auch deshalb, weil die Ursachen zum Teil außerhalb des Einflusses des Teams und seiner Führung lagen. Folgende Maßnahmen wurden konzipiert und umgesetzt:
Ein Anstieg der Produktivität war sehr bald messbar. Die sich langsam normalisierende Kommunikation verstärkte diesen Trend, was sich wiederum positiv auf das Klima auswirkte. Erwähnenswert erscheint mir, dass die Lösung weder personelle Um- oder Freisetzungen beinhaltete, noch mit Lohnerhöhungen oder sonstigen „Schmerzensgeldzahlungen“ erkauft werden musste.
Engagement des Beraters: 7 Tage